24.11.2015

Filesharing: Sonderweg in Rheinland-Pfalz

Gerichte in Rheinland-Pfalz machen aktuell mit einem Sonderweg von sich reden. Für einige Richter in Frankenthal und Koblenz gilt: in Reseller-Fällen besteht ein Beweisverwertungsverbot. Rasch Rechtsanwälte erläutern.

Einige Richter der Amtsgerichte in Frankenthal und Koblenz sowie die 6. Kammer des Landgerichts Frankenthal sind sich darin einig, dass in sog. Reseller-Fällen ein Beweisverwertungsverbot bestehe – eine im Zivilrecht absolute Ausnahme. Gestützt darauf wird vielen Klagen verletzter Rechteinhaber der Erfolg versagt. Die Rechtsansicht der Frankenthaler und Koblenzer Richter ist indes alles andere als überzeugend.

Worum genau geht es?

Seit Jahren gehen verletzte Rechteinhaber ausschließlich auf zivilrechtlichem Weg erfolgreich gegen das Massenphänomen des illegalen Filesharings vor. Möglich wurde das mit Einführung des § 101 Abs. 2 UrhG im Jahr 2008, mit dessen Hilfe u. a. Internetzugangsprovider auf Herausgabe von Rechtsverletzerdaten in Anspruch genommen werden können. Teil der damaligen Gesetzesänderung war auch die Einführung eines Richtervorbehalts, der immer dann zum Tragen kommt, wenn die Auskunft „nur unter Verwendung von Verkehrsdaten erteilt werden“ kann, § 101 Abs. 9 UrhG.

Die Landgerichte Köln und München I kennen diese Norm nur zu gut, sind sie doch die zuständigen Urheberrechtsgerichte für die beiden großen Provider Telekom und Telefónica. Unzählige Beschlüsse sind seit 2008 erlassen worden, die den Providern die Verwendung der Verkehrsdaten gestattet haben, damit jene Auskunft über die Daten derjenigen erteilen dürfen, denen zu einem bestimmten Tatzeitpunkt eine bestimmte IP-Adresse zugewiesen war.

In der überwiegenden Zahl der Fälle benennen Telekom und Telefónica Namen und Anschrift ihrer jeweiligen Kunden. Teilweise kommt es aber auch vor, dass die beiden großen Provider ihr Netz einem sog. Reseller zur Verfügung stellen. Dann können sie nur mitteilen, welche Benutzerkennung der jeweiligen IP-Adresse zum Tatzeitpunkt zugewiesen war. Anschließend muss sich der verletzte Rechteinhaber an den Reseller (wie etwa 1&1) wenden, um in Erfahrung zu bringen, wer sich hinter der Benutzerkennung verbirgt.

Genau bei diesen sog. Reseller-Konstellationen setzen die Richter aus Rheinland-Pfalz an. Dabei überdehnen sie nicht nur den Anwendungsbereich des § 101 Abs. 9 UrhG, sondern sie bedienen sich auch noch einer im Zivilrecht absoluten Ausnahme: des Beweisverwertungsverbots. Aber im Einzelnen:

Überdehnung von § 101 Abs. 9 UrhG

In Koblenz und Frankenthal wird die Ansicht vertreten, eine richterliche Gestattung nach § 101 Abs. 9 UrhG sei nicht nur gegenüber dem Netzbetreiber sondern auch gegenüber dem Reseller erforderlich.

Erstaunlich ist, dass das LG Frankenthal dabei sogar erkennt, dass es sich bei einer Benutzerkennung um ein Bestandsdatum handelt (LG Frankenthal vom 11.08.2015, Az.: 6 O 55/15). Entscheidend sei nach Ansicht der 6. Kammer aber, dass der Gesetzgeber mit Einführung des Richtervorbehaltes das Fernmeldegeheimnis des Anschlussinhabers habe schützen wollen. Dieser Schutz müsse daher für den gesamten Weg der Auskunftskette bis hin zur finalen Mitteilung der Personendaten des Anschlussinhabers gelten, insbesondere also auch für den Zwischenschritt der Benutzerkennung.

Der Gesetzgeber hat jedoch ausdrücklich von der Schaffung eines allgemeinen Richtervorbehalts abgesehen (BT-Drs. 16/5048, Seite 38) und dessen Einführung nur vorgenommen, „soweit es um die Verwendung von Verkehrsdaten geht“ (BR-Drs. 64/07, Seite 2). Dies spiegelt sich so auch im Wortlaut der Norm wider, die eine richterliche Gestattung ausschließlich für notwendig erklärt, wenn die Auskunft „nur unter Verwendung von Verkehrsdaten“ erteilt werden kann. Zur Begründung dieses eng begrenzten Anwendungsbereichs war insbesondere auf die „besondere Schutzwürdigkeit von Verkehrsdaten“ abgestellt worden (BT-Drs. 16/5048, Seite 40). Bestandsdaten – wie die Benutzerkennung, die fest einem Vertragspartner des Resellers zugewiesen ist – weisen eine solche Schutzwürdigkeit von vornherein nicht auf, fehlt es ihnen doch an der Dynamik, die Verkehrsdaten eigen ist.

Anders: Datenschutzbeauftragte u. a.


Auf diesen wesentlichen Unterschied bei den Auskünften von Netzbetreiber einerseits und Reseller andererseits hat auch das Amtsgericht Potsdam abgestellt und in seinem Urteil vom 12.11.2015 (Az.: 37 C 156/15) ausgeführt, nur die Auskunft der Telekom als Netzbetreiber unterliege dem Richtervorbehalt,

„weil nur dieser Auskunft eine Verknüpfung der vorhandenen Verkehrsdaten mit den vorhandenden Bestandsdaten zugrunde liegt. Die 1&1 Internet AG als Reseller hat bei ihrer Auskunftserteilung keine Verkehrsdaten mit Bestandsdaten zu verknüpfen, da sie selbst über keine Verkehrsdaten verfügt: Sie hat eine schlichte Auskunft über Bestandsdaten erteilt, indem sie lediglich die hinter der Benutzerkennung ‚[…]‘ stehende Beklagte offenbart hat.“ (AG Potsdam vom 12.11.2015, Az.: 37 C 156/15)

Das Amtsgericht Freiburg kam mit Urteil 24.09.2015 ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein Richtervorbehalt bei einer reinen Bestandsdatenauskunft wie der eines Resellers nicht besteht (AG Freiburg vom 24.09.2015, Az.: 10 C 633/15).

Selbst die oberste Datenschutzbehörde, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, sieht keinen Richtervorbehalt in Bezug auf Auskünfte von Resellern. Auf ihrer Internetseite heißt es daher zu diesem Punkt:

„Ist ein sogenannter Reseller* im Spiel, so läuft das Verfahren zweistufig ab: Der Netzbetreiber beauskunftet im ersten Schritt, welcher Benutzerkennung bei welchem Reseller eine bestimmte IP-Adresse zugewiesen war. Danach muss der Reseller dem Rechteinhaber mitteilen, wer der Inhaber der Benutzerkennung ist. Hierbei handelt es sich um eine Bestandsdaten-Auskunft nach § 101 Absatz 2 Nr. 3 UrhG, für die kein richterlicher Beschluss erforderlich ist. […]

*Ein Reseller ist ein Service-Provider, der die Vermittlung des Internet-Zugangs als eigene Dienstleistung anbietet und sich dabei der technischen Einrichtung eines Netzbetreibers bedient. Er verfügt über die Bestandsdaten seiner Kunden. Der Netzbetreiber vergibt die IP-Adressen an die Kunden des Resellers und erfährt dabei nur die Benutzerkennung.“

Auf Anfrage von Rasch Rechtsanwälte vom Oktober 2015 ist auch noch einmal bestätigt worden, dass sich an der Position des BfDI nichts geändert hat.

„Denn bei der Auskunftserteilung durch den Reseller handelt es sich nach wie vor um eine Bestandsdatenauskunft, für die eine richterliche Anordnung nicht erforderlich ist.“ (BfDI vom 19.10.2015)

Der Sonderweg der Richter aus Rheinland-Pfalz ist also weder unter Beachtung des eigens herangezogenen Gesetzgebungswillens noch unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Verkehrs- und Bestandsdaten nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als sie ihre Mindermeinung zum vermeintlichen Richtervorbehalt in Reseller-Konstellationen mit einem Beweisverwertungsverbot verquicken, welches im Zivilrecht nur in seltensten Ausnahmefällen bejaht werden darf.

Beweisverwertungsverbot?


Die Voraussetzungen eines solchen Beweisverwertungsverbotes werden dabei jedoch nicht einmal geprüft. Das LG Frankenthal begründet es in seinem Urteil vom 11.08.2015 (Az.: 6 O 55/15) – anscheinend aus dem Bauch heraus – damit, dass eine sanktionslose Umgehung des Richtervorbehalts nicht mit dem Schutzgedanken der Norm vereinbar sei. In eine zwingend erforderliche Güterabwägung der widerstreitenden Interessen wird gar nicht erst eingetreten. Die Frankenthaler Urheberrechtskammer scheint noch nicht einmal wahrzunehmen, dass sie bei einer Versagung der Beweisverwertung über die grundrechtlich geschützten Eigentumsrechte von Rechteinhabern nach Art. 14 GG befindet, stellt sie doch ausschließlich auf die (vermeintliche) Betroffenheit des Fernmeldegeheimnisses des Anschlussinhabers ab.

Empfehlung

Die Mindermeinungen der Richter aus Koblenz und Frankenthal sind also sehr gut angreifbar. Rechteinhaber sollten sich daher nicht davon entmutigen lassen und entsprechende Entscheidungen beim Oberlandesgericht Zweibrücken oder letztlich beim Bundesgerichtshof zur Überprüfung stellen. Schon gar nicht sollte davon abgesehen werden, Ansprüche wegen Urheberrechtsverletzungen in Koblenz oder Frankenthal gerichtlich geltend zu machen.

Von: Rechtsanwältin Anja Heller

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