BVerfG: Falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit
Die Bezeichnung einer Anklagevertreterin als „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“ kann eine zulässige Meinungsäußerung sein (BVerfG Beschluss vom 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15).
Nach einer Verhandlung in einem Strafverfahren wurde der – die Verfassungsbeschwerde führende - Rechtsanwalt ungefragt von einem Journalisten angerufen, der in dem Fall bereits recherchiert hatte. In diesem Gespräch bezeichnete der immer noch wütende Strafverteidiger die zuständige Staatsanwältin u.a. als „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“. Das Landgericht hatte diese Äußerungen als Ausdruck einer persönlichen Fehde wahrgenommen, mit welchen die Beleidigte als Person in den Vordergrund gestellt worden sei.
Begriff der Schähkritik ist eng auszulegen
Das Bundesverfassungsgericht würdigt diese – einer Schmähkritik gleiche – Feststellung des Landgerichts als unzureichend und führt aus, dass wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen sei und im vorliegenden Fall weder vom Landgericht noch vom Kammergericht Feststellungen getroffen worden seien, ob der ehrbeeinträchtigende Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes gestanden habe. Das Telefongespräch habe im Zusammenhang mit der vorangegangenen mündlichen Verhandlung gestanden, so dass es durchaus möglich sei, dass sich die inkriminierten Äußerungen auf das dienstliche Verhalten der Staatsanwältin vor allem mit Blick auf die Beantragung des Haftbefehls bezogen haben. Für die Annahme einer Schmähkritik reiche es unter diesen Umständen nicht, darauf abzustellen, dass die Äußerungen dabei nicht relativiert oder auf ganz bestimmte einzelne Handlungen der betreffenden Staatsanwältin Bezug genommen haben. Vielmehr hätte es in Auseinandersetzung mit der Situation näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt worden sei, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren.
Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht
Da eine derartig differenzierte Einordnung der inkriminierten Äußerungen als Schmähkritik den angegriffenen Entscheidungen nicht zu entnehmen war, hätten die Gerichte eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Rechtsanwalts und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vornehmen müssen.
Beschimpfungen grundsätzlich nicht erlaubt
Als „obiter dictum“ betont das Bundesverfassungsgericht, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht berechtigt sei, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Strafurteil des LG Berlin (U.v. 26.1.2015 – (569) 83 Js 445/10 Ns (126/13), das vom Kammergericht bestätigt worden war (B.v. 21.9.2015 – (3) 121 Ss 71/15 (96/15), aufgehoben.
Von: Rechtsanwalt Werner Jansen
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